„Sorry, das ist mir zu hoch.“ Mein Kollege guckt in die Runde. „Ich muss das nicht verstehen, oder?“ In mir brodelt es. Es geht um einen jungen Mann, den ich begleite und langsam kennenlerne. Um einen jungen Mann, der in meinen Augen ganz und gar ein Kerl ist. Sicher, kein testosteronstrotzender Alphamann, aber trotzdem eindeutig ein Kerl. Der Haken an der Sache ist nur: Im Ausweis steht „Svenja“ und nicht „Sven“. Und das scheint in meinem Umfeld für erhebliche Probleme zu sorgen.
Zugegeben: Auch mir passiert es, dass mir das „sie“ herausrutscht. Ich tippe jedes Mal bewusst „Hallo Sven“ in die Tastatur, wohl wissend, dass „Hallo Svenja“ nicht angepasst wäre. Es sind Fehler, die mir – vielleicht auch unbewusst – passieren, weil ich weiß, dass ich biologisch betrachtet eine Frau vor mir habe. Und in dem Körper dieser Frau steckt aus einer grausamen Laune der Natur heraus ein junger Mann. Anfangs dachte ich noch: Ja, hast du mal von gehört. Je näher ich ihn nun kennenlerne, desto deutlicher wird mir, wie grausam es für einen Menschen sein muss, im falschen Körper gefangen zu sein. Und alles, was er mir nach und nach erzählt, führt mich genau zu diesem Schluss: Ein Kampf gegen einen eigenwilligen Körper, der sich zunehmend in ein Geschlechtsgefüge hineinentwickelt, das komplett dem eigenen Gefühl zuwider läuft. Ich kann aus seinen Erzählungen nur erahnen, welche Höllenqualen er hat durchleiden müssen.
Ich bin ehrlich: Ich kann die Situation nicht verstehen. Wie sollte ich auch? Ich weiß, wie es ist, nicht „richtig“ zu sein, aber ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn der ganze Körper „falsch“ ist. Aber ich sehe einen Unterschied zwischen meinem Nicht-Verstehen und dem Nicht-Verstehen meines Kollegen. Denn sein Nicht-Verstehen beinhaltet ein Abstreiten der Tatsachen. Weil er es nicht versteht, kann es nicht sein und vor allem kann es nicht richtig sein. Das ist… frustrierend. Und wenn es für mich schon frustrierend ist, wie ist es erst dann für Sven?
„Steht er/sie/es eigentlich auf Männer oder Frauen?“, fragt mein Kollege schließlich. Ich hasse dieses „er/sie/es“. Es ist so abwertend. Aber ich kann es dem Kollegen nicht begreifbar machen. Sven hat eine Freundin. „Also ist er/sie/es eine Lesbe?“ Ähm. Nein? So ohne Hintergrundwissen und aus dem Bauch heraus. „Aber die Freundin, die ist lesbisch, ne? Geht ja auch nicht anders.“ So langsam macht der Kollege mich echt fertig. Ist es denn wirklich so schwer, die Menschen einfach SEIN zu lassen? Ist es so tiefgreifend, wenn ein Mann (in einer glücklichen (!) Beziehung mit einer Frau) aufgrund primärer Geschlechtsmerkmale dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wurde? Und nun daran arbeitet, Körper und Seele in Einklang zu bringen?
Sven und ich haben einen langen Weg vor uns. Ich habe ihm gesagt, dass ich mir Mühe gebe, aber auch für mich vieles neu ist. Ich habe noch nie den Namen einer Person ändern lassen. Ich weiß nicht, durch welche Phasen wir durchgehen werden, wenn die Hormontherapie beginnt. Ich weiß nicht, wann und wie die geschlechtsangleichenden Operationen anstehen werden und was das mit ihm machen wird. Ich kann ihm nur anbieten, den Weg mit ihm zu gehen. Und mich, wie er, überraschen zu lassen. Von einer für mich fast gänzlich neuen Welt.